Joseph Campbells Klassiker The Hero With A Thousand Faces ist weit mehr als nur ein Buch – es ist eine Reise in die Herkunft und die Tiefen unserer menschlichen Natur und unserer kollektiven Vorstellungswelt. Von der ersten Seite an spürt man die Begeisterung Campbells für die universellen Muster des Storytellings, insbesondere für die Heldenreise, die sich als Herzstück des Buches durchzieht. Dieses Werk ist ein unverzichtbares Werkzeug für alle, die verstehen wollen, warum Geschichten funktionieren und wie sie Menschen auf einer tiefen Ebene berühren.

Die Heldenreise: Ein universelles Muster

Campbells Konzept der Heldenreise, das er auch als „Monomythos“ bezeichnet, ist das zentrale Thema des Buches. Er beschreibt, wie Mythen und Geschichten über alle Kulturen und Epochen hinweg einem ähnlichen Muster folgen: Ein Held oder eine Heldin verlässt die gewohnte Welt (Aufbruch), besteht Herausforderungen und überwindet Hindernisse (Prüfung) und kehrt schließlich transformiert zurück (Rückkehr). Diese Struktur findet sich in klassischen Geschichten wie Homers Odyssee genauso wie in modernen Blockbustern wie Der Herr der Ringe oder Harry Potter.

Was mich besonders beeindruckt hat, ist Campbells Tiefe in der Analyse. Er verbindet die Geschichten der alten Mythen mit den psychologischen Konzepten von Carl Gustav Jung, insbesondere mit der Idee der Archetypen. Campbell erklärt, dass Figuren wie der Weise, der Rebell oder der Narr universelle Rollen verkörpern, die in nahezu jeder Geschichte eine wichtige Funktion einnehmen. Diese Erkenntnis öffnet einem die Augen für die subtilen Mechanismen des Storytellings. Auf verschiedene Konzepte von Archetypen und Mentorenrollen wird in anderen Artikeln noch mehrfach eingegangen und auch Literatur dazu vorgestellen.  

Wir sind gutem Storytelling biologisch ausgeliefert

Ich habe mich beim Lesen immer wieder dabei ertappt, darüber nachzudenken, wie ich selbst Geschichten erzähle und erlebe. Campbell schafft es, mit seiner bildhaften Sprache und seinen zahllosen Beispielen aus der Mythologie die Heldenreise nicht nur zu erklären, sondern auch lebendig werden zu lassen. Besonders beeindruckend fand ich seine Analyse von Buddha, Moses und Jesus als Beispiele für den Archetyp des Helden. Campbell zeigt, wie diese Figuren ähnliche Stationen durchlaufen: den Ruf zum Abenteuer, die Begegnung mit übernatürlichen Helfern, die Konfrontation mit der Dunkelheit und schließlich die Transformation und Erkenntnis. Die Frage, ob diese drei Geschichten nicht zur Gründung von Weltreligionen geführt hätten, wenn sie schlechter erzählt worden wären, darf gerne in den Kommentaren diskutiert werden.  

Eine der faszinierendsten Passagen des Buches beschreibt den „Bauch des Wals“ – ein Moment in der Heldenreise, in dem der Protagonist scheinbar gescheitert ist und sich in einer Art symbolischem Tod befindet. Campbell erklärt, dass dieser Moment nicht nur in Geschichten, sondern auch in unserem eigenen Leben häufig vorkommt. Es sind diese Einsichten, die The Hero With A Thousand Faces zu einem so kraftvollen Werkzeug machen – sowohl für Geschichtenerzähler als auch für Unternehmer, die ihre eigene Reise und die Heldenreise der Kundinnen und Kunden besser verstehen wollen. Wenn der Blick auf das eigene Leben geschärft wird, wie häufig jeder tatsächlich eine Heldenreise beginnt und wie oft wir Teil der Heldenreise anderer werden, beruflich und privat, ist das sehr bereichernd.

Die Relevanz für modernes Storytelling

In einer Zeit, in der Storytelling in Bereichen wie Marketing, Marken-Positionierung und Recruiting eine immer größere Rolle spielt, ist Campbells Buch aktueller denn je. Denn nicht nur Autoren oder Filmemacher greifen immer wieder auf die Prinzipien der Heldenreise zurück, um Geschichten zu schaffen, die das Publikum tief berühren. George Lucas, der Schöpfer von Star Wars, hat offen zugegeben, dass Campbells Werk eine seiner Hauptinspirationsquellen war. Und wenn man darüber nachdenkt, erkennt man die Heldenreise nicht nur in Luke Skywalkers Entwicklung, sondern auch in fast allen großen Filmerfolgen der letzten Jahrzehnte.

Was mir persönlich besonders gefallen hat, ist die Art und Weise, wie Campbell alte Mythen mit modernen Geschichten verbindet. Er zeigt, dass wir alle ständig und täglich Heldenreisen durchlaufen – ob wir nun einen neuen Lebensabschnitt beginnen wie Schule, Universität oder neuer Job, ob wir ein Unternehmen gründen oder einfach versuchen, uns selbst zu verwirklichen. Diese universelle Anwendbarkeit macht das Buch zu einer unerschöpflichen Quelle der Inspiration.

Ein Leseerlebnis, das verändert

Beim Lesen von The Hero With A Thousand Faces darf man einen Schritt zurücktreten und bedenken, dass dies bei Veröffentlichung 1949 praktisch das erste umfassende Buch zu diesem Thema gewesen ist. Alles, was wir in den 2020er Jahren bereits über Storytelling wissen, geht auf Campbells erste Beschreibungen zurück. Ich hatte beim ersten Lesen das Gefühl, dass mir nicht nur die Geheimnisse des Storytellings aufgezeigt wurden, sondern auch ein tiefes Verständnis dafür, dass Menschsein und kulturelle Identität weltweit von den selben Mustern des Geschichtenerzählens geprägt ist. Campbells Begeisterung für Mythen und seine umfassende Kenntnis der Weltkulturen ziehen einen in den Bann. Es ist, als ob man eine Landkarte für die menschliche Geschichte in den Händen hält.

Ein Beispiel, das mich besonders bewegt hat, war Campbells Darstellung des „Rufs zum Abenteuer“. Er erklärt, dass dieser Ruf oft unbemerkt bleibt oder sogar abgelehnt wird, weil er uns aus unserer Komfortzone zwingt. Doch genau in diesen Momenten liegt das größte Potenzial für Wachstum. Diese Erkenntnis hat mich dazu gebracht, eigene Entscheidungen zu hinterfragen und mutiger zu sein.

Ich habe mit meiner Familie diesen Ruf im Frühjahr 2022 gefühlt und wir sind nach Christchurch in Neuseeland umgezogen. Nicht weil wir mussten, sondern weil hinter dem Ruf und den offensichtlichen Aufgaben und Widerständen ein solcher Goldschatz am Horizont glänzte, dass wir uns auf den Weg machen wollten. Und wir haben jede einzelne Station der Heldenreise wiedergefunden und stürzen uns täglich in kleine, alltägliche Heldenreisen.

Fazit: Ein Buch für die Ewigkeit

The Hero With A Thousand Faces von Joseph Campbell ist mehr als ein Buch – es ist eine Einladung, die Geschichten unseres täglichen Lebens auf einer tieferen Ebene zu verstehen und zu erschaffen. Die Heldenreise, die Campbell so eindrucksvoll beschreibt, ist nicht nur ein Storytelling-Werkzeug, sondern auch eine Metapher für unser eigenes Leben. Dieses Buch hat mich nicht nur als Kommunikationsexperte und Geschichtenerzähler inspiriert, sondern auch als Mensch bereichert.

Wenn du mehr über Storytelling lernen, deine eigene Heldenreise verstehen oder einfach ein Meisterwerk der Literatur genießen möchtest, dann solltest du dieses Buch unbedingt lesen. Es ist ein zeitloser Leitfaden für alle, die Geschichten lieben – und wer tut das nicht? Wir können ja gar nicht anders 😉.